Rudolf von Bennigsen und seine Bedeutung
als Mitbegründer der Nationalliberalen Partei
von Peter Kimmel
I. Erinnerungsstätten
Am 07. August 1902 verstarb auf seinem Gut in Bennigsen der 78jährige Rudolf von Bennigsen. In dem kleinen versteckten Familienfriedhof im Park seiner Familie in Bennigsen, das seit der Gemeindereform 1974 als zweitgrößter Stadtteil zu Springe gehört, ist noch heute die schlichte Begräbnisstätte erhalten.
Der jetzige Hausherr des Gutes, Roderic von Bennigsen, eröffnet u. A. zu den jährlich von ihm veranstalteten und geleiteten Konzerten die Möglichkeit zum Besuch des Grabes im idyllischen Park.
Der örtliche Verein zum Andenken an Rudolf von Bennigsen hat zur Erinnerung an den bedeutenden Mitbürger aus Anlass des 100. Todestages ein Denkmal geplant, das von dem heimischen Bildhauer Prodlick-Olbrich gestaltet, mit privaten Spendenmitteln (hauptsächlich der Stiftung der Volks- und Raiffeisenbanken) finanziert und im Jahr 2004 errichtet worden ist.
Der Verein ist um den Aufbau eines Bibliotheksbestandes bestrebt, der zum Studium über die Bedeutung Rudolf von Bennigsens Persönlichkeit in seiner Zeit und für heute anregen soll.
Zur Erinnerung an den Politiker und Staatsmann tragen auch jetzt noch zahlreiche Straßen in der Region seinen Namen. Die wohl bedeutendste ist das Rudolf-von-Bennigsen-Ufer in Hannover, in dessen Nähe vor dem Landesmuseum auch noch Reste eines großen Denkmals von 1907 zu erkennen sind, das im zweiten Weltkrieg zerstört und nicht oder noch nicht (?) - wieder aufgebaut wurde.
Zusätzlich sei nur erwähnt, dass eine der niedersächsischen Landesstiftungen zur Förderung der politischen Willensbildung seit ihrer Gründung 1981 unter dem Namen „Rudolf-von-Bennigsen-Stiftung" arbeitet.
II. Herkommen
Wer war nun dieser Rudolf von Bennigsen, dessen Bedeutung unserer Gesamtstadt - wie auch die anderer Persönlichkeiten, wie etwa Heinrich Göbels - ein bleibendes (kritisches) Erinnern wert sein sollte?
Rudolf von Bennigsen stammte aus einem alten niedersächsischen Adelsgeschlecht, 1261 erstmals urkundlich erwähnt als Burgmannen der Grafen von Schaumburg in Stadthagen. 1311 erbaute es die Wasserburg in Bennigsen als Stammsitz, der namensgebend wurde. Im Jahre 1618 erfolgte eine Teilung in die Linien Bennigsen und Banteln-Gronau. Rudolf von Bennigsens Vater, der 1864 verstorbene Karl Ernst Eberhard von Bennigsen, konnte seinem ältesten Sohn nach Ablösung aller Lehensrechte das Bennigser Gut als uneingeschränktes Privateigentum übergeben.
Geboren wurde Rudolf von Bennigsen am 10. Juli 1824 allerdings nicht in Bennigsen, sondern in Lüneburg, wo sein Vater als Generalmajor „in Garnison stand" und die Gutsverwaltung damals einem Pächter überlassen hatte. Erst nach beruflichen und politischen Umbrüchen kehrte Rudolf von Bennigsen auf sein Gut zurück, dessen Ausbau er z.B. auch durch die Anlage des Gartens - erheblich gefördert hat.
Anmerkung: Wegen der hier naturgemäß naheliegenden Konzentration auf die Bennigsen-Linie soll nur kurz angemerkt werden, dass die Banteln-Linie mit Levin August von Bennigsen 1813 als Oberbefehlshaber der russisch-preußischen Truppen gegen Napoleon von Zar Alexander in den russischen Grafenstand erhoben wurde und sein Sohn Alexander Graf von Bennigsen als „gemäßigt liberaler" Welfe von 1848 bis 1850 hannoverscher Ministerpräsident und Außenminister und von 1881 bis 1884 Mitglied des Reichstages (Welfische Partei) war.
Rudolf von Bennigsen studierte von 1842 bis 1845 Jura in Göttingen - wo er Bismarck kennenlernte und sich mit ihm befreundete. Sein Verhältnis zu Bismarck war in der späteren Zeit seines politischen Wirkens allerdings ambivalent - zwischen Unterstützung und Gegnerschaft schwankend. Zu dieser Haltung trug insbesondere Bennigsens anschließender Studienaufenthalt in Heidelberg bei, das zu dieser Zeit eine Hochburg des Liberalismus war und ihn politisch prägte. 1846 trat er als Amtsaudigtor - vergleichbar einem heutigen Referendar – in Lüchow in den Staatsdienst, wurde aber bald nach Osnabrück versetzt. Dort verfolgte er das Scheitern der Revolution von 1848 in Hannover, fühlte sich aber in seiner Bewegungsfreiheit, die einem Richter eingeräumt und für seine Berufswahl entscheidend war, nicht beeinträchtigt. 1850 wurde er Assessor in Aurich und 1852 stellvertretender Staatsanwalt in Hannover. 1854 wurde er zum Richter am damaligen Obergericht in Göttingen ernannt.
Seine so erfolgreiche juristische Laufbahn beendete er jedoch abrupt, als ihm durch seinen Dienstherrn die Annahme eines errungenen Abgeordnetenmandats in der Zweiten Hannoverschen Kammer verweigert wurde. Er nahm seinen Abschied aus dem Staatsdienst und übernahm 1856 zum ersten Mal selbst die Verwaltung des Familiengutes „am Deistergebirge". Dort hielt es ihn aber nicht lange. Nachdem er 1856 in Göttingen zum Mitglied der Zweiten Kammer gewählt worden war, wandte er sich der Politik zu und trat bald an der Spitze der liberalen und nationalen Opposition gegen das Ministerium Borries wegen dessen - verkürzt zusammengefasst - erzkonservativer, kleinstaatlicher und verfassungsabwehrender Haltung auf. Erfasst vom Wiederaufleben der deutschen Frage half er 1859, den deutschen Nationalverein zu gründen und war bis 1867 dessen Vorsitzender. 1866 bemühte er sich vergebens, Hannover vor einem Bündnis mit Österreich zu bewahren und eine Verständigung mit Preußen herbeizuführen. Nach dem Scheitern und der folgenden Annexion Hannovers durch Preußen trat er als Abgeordneter in das preußische Abgeordnetenhaus und den Norddeutschen, später den Deutschen Reichstag ein. Dort gehörte er bald zu den Führern der nationalliberalen Partei. Die Annexion des hannoverschen Königreiches hatte er zwar wegen des Verlustes der Selbständigkeit bedauert, sie aber auch als Schritt zu der von ihm erstrebten nationalen Einheit Deutschlands anerkannt.
Er bemühte sich lange mit Erfolg, ein Zusammenwirken der nationalliberalen Partei mit der Regierung und Bismarck zu verwirklichen und brachte z. B. 1874 einen Kompromiss über die Militärfrage und 1876 über die Justizgesetze ein. Nachdem ein Plan Bismarcks, ihn in das Ministerium zu ziehen, sich 1878 zerschlagen hatte, trat eine Verstimmung zwischen ihm und Bismarck auch in Folge seiner Ablehnung des bismarckschen Sozialistengesetzes von 1878 ein. Sie steigerte sich durch Bennigsens Opposition gegen die neue Zoll- und Wirtschaftspolitik.
Da ihm seine vermittelnde Politik nun aussichtslos erschien, legte er 1883 seine Mandate im Reichstag und Abgeordnetenhaus nieder und kehrte wieder ins Privatleben nach Bennigsen zurück.
Erst 1887 ließ er sich wieder in den Reichstag wählen. Kaiser Wilhelm II ernannte ihn am 29. August 1888 zum Oberpräsidenten der nunmehrigen Provinz Hannover. Dieses Amt behielt er bis 1898, bevor er sich zum dritten Mal und endgültig bis zu seinem Tode 1902 nach Bennigsen zurückzog.
Bei dieser engen Verbundenheit mit Bennigsen erscheint es bemerkenswert, dass der kleine Ort zeitweilig im deutschen Reichstag mit Heinrich Hische, Direktor der Zuckerfabrik und Urgroßvater des heutigen Stadtbürgermeisters von Springe, noch einen weiteren einflussreichen Abgeordneten im Reichstag stellte (ebenfalls Nationalliberale Partei). Es dürfte eine reizvolle Aufgabe für einen heimischen Historiker sein, Einzelheiten über einen zu vermutenden Gedankenaustausch der Parteifreunde in Bennigsen oder im Reichstag zu erkunden.
III. Bedeutung der Persönlichkeit und des Wirkens Rudolf von Bennigsens
Beim Studium der Quellen über Bennigsens Persönlichkeit fällt besonders auf:
• Auch wenn die übermächtige Persönlichkeit des Reichskanzlers Bismarck alle zeitgenössischen Politiker in der Anfangszeit des Deutschen Reiches in den Hintergrund drückte, war Bennigsen neben ihm einer der Reichsbegründer, weil er die liberale Epoche des Kaiserreichs von 1870 bis 1880 maßgeblich mitgestaltete.
• Er hatte das Geschick, verschiedene Standpunkte „in einer mittleren Formel zur praktischen Arbeit zu vereinen", wie seine Zeitgenossen rühmten; war also ein Pragmatiker, ohne seine liberalen Ziele aus den Augen zu verlieren.
• Er erreichte in der 1867 gegründeten Nationalliberalen Partei, in die er beeinflusst von den Idden der Aufklärung und der französischen Revolution eintrat, schnell die Führung. Sie zählte im Reichstag von 1874 bis 1877 155 Mitglieder, nach einer Abspaltung der sogenannten „freisinnigen Sezessionisten" 1880 bis 1884 sank sie auf 45 Mitglieder, erreichte nach den Neuwahlen von 1887 aber wieder 101 Abgeordnete. Der Erfolg wird vor allem seiner damaligen „Wahlrede" vom 23.01.1887 zugeschrieben, die eine Koalition mit den Worten ankündigte: „Zusammengehen können wir sehr wohl mit den Konservativen in einzelnen Punkten, verschmelzen lassen können und wollen wir uns aber nicht".
• Gottlieb Planck, der für die Nationalliberale Partei an seinem Grab in Bennigsen 1902 sprach, rühmte selbstverständlich die Verdienste in der Geschichte von 1855 bis zur Jahrhundertwende, hob dann aber hervor:
„Aber das Wichtigste ist nach meinem Gefühl nicht das, was er getan, sondern die Art, wie er es getan hat" - nämlich ohne seine Gegner zu verunglimpfen.
• Bennigsen war ganz offensichtlich ein für seine Zeit sehr gelehrter und außergewöhnlich interessierter Geist. Noch als 76jähriger nahm er von Bennigsen aus wieder das Studium auf, in Göttingen hörte er Physik, Anatomie, Psychiatrie und Recht.
• Schließlich soll zum Schluss noch die Ortschronik Bennigsen über das hiesige Wirken zu Gehör kommen. Außer der Anlage des Gutsparkes, der nunmehr in die Großveranstaltungen der „Gartenregion Hannover" einbezogen ist, hebt sie die Heranziehung eines Arztes und einer Apotheke in den Ort hervor, aber auch besonders die Linienführung der Eisenbahn. Letzteres ist im Denkmal durch die begrenzenden Edelstahlschienen symbolisiert.
Fazit:
Rudolf von Bennigsen war über sein Jahrhundert hinaus ein bedeuten der Politiker mit Weitblick. Er erkannte und unterstützte die liberalen Ideen der Aufklärung, die in Deutschland etwa durch das Wartburgfest (1817) und das Hambacher Fest (1832) - dabei handelte es sich keines falls um Feste im heutigen Sinne, sondern um politische, eigentlich verbotene Demonstrationen - und die Frankfurter Nationalversammlung (1848/49) Eingang fanden, als wichtige Stationen auf dem Wege zu Demokratie und Einheit Deutschlands. Die von ihm mitbegründete Nationalliberale Partei hat nicht ohne Brüche die Zeitläufte über zwei Weltkriege überstehen können. Ihre Wurzeln sind jedoch nach dem 1. Weltkrieg in der Deutschen Volkspartei und nach dem 2. Weltkrieg in der FDP erhalten geblieben.
Noch zu Lebzeiten wurden Rudolf von Bennigsen vielerlei Ehrungen zuteil. So wurde ihm z. B. das Großkreuz des deutschen Adlerordens durch Kaiser Wilhelm II verliehen. Die Universität Heidelberg verlieh ihm anlässlich der Feier ihres 500jährigen Bestehens die Ehrendoktorwürden der juristischen und medizinischen Fakultäten, die Stadt Hannover ernannte ihn zu ihrem Ehrenbürger.
Ein bisschen Lokalstolz auf diese Persönlichkeit und ihre von hier ausgehenden Verdienste ist nicht unangebracht.
Literatur:
Aschoff, Hans-Georg: Bennigsen, der hannoversche Adel und die welfische Bewegung, in: Rudolf von Bennigsen-Stiftung (Hrsg: Der Nationalliberalismus in seiner Epoche, Rudolf von Bennigsen, Gedenkschrift anlässlich der Gründung der Rudolf von Bennigsen-Stiftung, Baden-Baden 1981 S. 59-75.
Brosius, Dieter: Bennigsen und Hannover, in: Rudolf von Bennigsen-Stiftung (Hrsg.): Der Nationalliberalismus in seiner Epoche, Rudolf von Bennigsen, Gedenkschrift anlässlich der Gründung der Rudolf von Bennigsen-Stiftung, Baden-Baden 1981. S. 41-57
Brosius, Dieter: Rudolf von Bennigsen als Oberpräsident der Provinz Hannover 1888 bis 1897, Hildesheim1964.
Eisfeld, Gerhard: Die Entstehung der liberalen Parteien in Deutschland 1858-1870. Studie zu den Organisationen und Programmen der Liberalen und Demokraten, Hannover 1969.
Gall, Lothar: Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt a. M. 1980.
Haunfelder, Bernd: Die liberalen Abgeordneten des Deutschen Reichstags 1871-1918. Ein biographisches Handbuch, Münster 2004.
Jenkner, Wilhelm und Sagermann, Wilhelm: Ortschronik Bennigsen. Aus der Vergangenheit in die Gegenwart, Bennigsen 1980.
Langewiesche, Dieter: Liberalismus in Deutschland, Frankfurt a. M. 1988.
Lauterbach, Ansgar: Im Vorhof der Macht. Die nationalliberale Reichstagsfraktion in der Reichsgründungszeit (1866-1880), Frankfurt a. M. 2000.
Na'aman, Shlomo: Der deutsche Nationalverein. Die politische Konstituierung des deutschen Bürgertums 1859-1867, Düsseldorf 1987.
Oncken, Hermann: Rudolf von Bennigsen. Ein deutscher liberaler Politiker, 2 Bände, Stuttgart 1910.
Ostwald, Paul: Rudolf von Bennigsen, Berlin 1924.
Stephan, Werner: 100 Jahre liberale Parteien, in: Wolfram Dorn und Harald Hofmann (Hrsg.): Geschichte des deutschen Liberalismus, Bonn 1966. S. 68-102